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Quadranten (quadrants)​

Grundlegende Perspektiven der Wirklichkeit

»Um klar zu sehen, genügt ein Wechsel der Blickrichtung.«

– Antoine de Saint-Exupéry

Ich sehe was, was du nicht siehst

Erinnerst du dich noch an dieses Spiel? Alle Mitspieler sitzen zusammen. Ein Spieler beginnt und sagt: „Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist rot“. Die anderen Mitspieler raten daraufhin, was um sie herum rot ist.

Bei diesem Kinderspiel ist die eingenommene Perspektive entscheidend. Befindet sich z.B. das rote Ding hinter mir, kann ich das zu erratende Ding nicht ohne weiteres wahrnehmen.

Was in diesem Kinderspiel so einfach erscheint ist fundamental für unser Verständnis von Wirklichkeit.
Wir nehmen uns und unsere Welt stets perspektivisch wahr. Ohne einen bestimmten Blickwinkel, einen definierten Standpunkt einzunehmen sind wir nicht imstande die Wirklichkeit überhaupt auch nur ansatzweise zu erfassen.

Die Wirklichkeit wird also maßgeblich vom individuellen Standpunkt des Betrachters bestimmt, also dessen spezifischer Position im Raum-Zeit-Gefüge – seiner/ihrer kosmischen Adresse.

Wie entsteht Wirklichkeit?

Tauschen sich mehrere Betrachter aus, so erscheint ihnen die Wirklichkeit unterschiedlich oder teilweise gar widersprüchlich, da keine zwei Individuen zur selben Zeit am selben Ort dieselbe subjektive Perspektive einnehmen können.

Es wird hierbei stets Aspekte der Wirklichkeit geben, die alle Betrachter gleichermaßen erfassen können, während andere Aspekte nur von einigen aber nicht allen Betrachtern erfasst werden. Und es wird stets weitere Aspekte der Wirklichkeit geben, die von keinem der Betrachter erfasst werden.

Ein möglichst umfassendes Verständnis der Wirklichkeit kann nur durch einen sprachlichen Austausch über die verschiedene subjektiven Perspektiven der beteiligten Betrachter entstehen.

Und dieser Austausch erfordert eine Differenzierung zwischen Sprecher (erste Person), Angesprochenem (zweite Person) und der Person oder Sache über die gesprochen wird (dritte Person).

„Die sogenannte Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommunikation. Der Glaube, dass es nur eine Wirklichkeit gibt ist eine gefährliche Selbsttäuschung.“

– Paul Watzlawick

Diese grundlegende Perspektivität findet sich in allen Kulturen und allen Evolutionsstadien. Und in allen Sprachen der Welt finden wir entsprechende Personalpronomen, welche die Perspektiven einer ersten, zweiten und dritten Person im Singular (ich, du, er/sie/es) und im Plural (wir, ihr, sie) kennzeichnen.

Vier universelle Perspektiven

Sprachlich lassen sich somit vier universelle Perspektiven voneinander unterscheiden, die wir gegenüber jedem Ereignis oder Aspekt der Wirklichkeit einnehmen können:

  • Die subjektive Perspektive der ersten, sprechenden Person singular: ich.
  • Die intersubjektive Perspektive der zweiten, angesprochenen Person singular bzw. der ersten oder zweiten Person plural: du, wir, ihr.
  • Die objektive Perspektive der dritten Person singular, über die gesprochen wird: er, sie, es.
  • Die interobjektive Perspektive dritten Person plural, über die gesprochen wird: sie.

Die Quadranten repräsentieren diese vier grundlegende Perspektiven im integralen Ansatz.

Die Perspektiven eines Individuums

Alles Lebendige hat eine subjektive „Innenwelt“ und eine objektiv sichtbare „Außenwelt“ und ist zugleich als Individuum in verschiedene Systeme / Kollektive eingebunden (Gemeinschaften, Gesellschaften, Infrastrukturen, natürliche und kulturelle Umwelten).
Auf diese Weise entstehen für jedes Individuum zwei wesentliche Gegensatz-Paare der Wirklichkeit:

  • Innen versus außen – Das Innen umfasst alle subjektiv erfahrbaren Aspekte der Wirklichkeit, z.B. Wahrnehmungen, Gedanken, Absichten, Emotionen, gemeinschaftlich geteilte Wertvorstellungen, Berufskultur etc. Das Außen hingegen umfasst alle objektiv sichtbaren und messbaren Aspekte der Wirklichkeit, z.B. Materie, Verhalten, Systeme, Institutionen, Infrastrukturen etc.
  • Individuell (singular) versus kollektiv (plural): Jedes Lebewesen ist ein Individuum mit all seinen individuellen Ausprägungen im Innen und Außen. Zugleich existiert es stets in Beziehung zu den umgebenden und mit ihm interagierenden soziokulturellen Systemen und Kontexten, z.B. seiner physikalischen, biologischen, sozialen und kulturellen Umwelt.

Aus diesen beiden Gegensatz-Paaren resultieren vier Quadranten für jedes Individuum:

  • ICH (links oben, LO) – die subjektive innere Sicht und persönliche Erfahrung des Betreffenden, z.B. seine/ihre Kognition, Gefühle, Gedanken, Absichten und Überzeugungen.
  • ES (rechts oben, RO) – die im Außen sichtbare und objektiv messbare Sicht auf den Betreffenden, z.B. Verhalten, Handlungen, Fähigkeiten und körperliche Eigenschaften der betreffenden Person.
  • WIR (links unten, LU) – das intersubjektive Miteinander des Betreffenden mit seinen Mitmenschen, z.B. kulturelle Besonderheiten und Gepflogenheiten im Umgang miteinander, in der Gemeinschaft geteilte Wertvorstellungen und Überzeugungen etc.
  • SIE (rechts unten, RU) – die interobjektiven systemischen Kontexte, (Infra-) Strukturen, Interaktionen und äußeren Wechselbeziehungen des Betreffenden, z.B. die beruflichen oder privaten Umfelder der Person, Gesetze und Institutionen etc.

Alles kann mit diesen vier Quadranten betrachtet werden. In jedem Quadranten sieht die Welt anders aus und bleibt für sich genommen unvollständig – alle sind gleich wichtig und nur zusammen genommen ergeben sie ein umfassendes Bild der Wirklichkeit!

Integral bedeutet mit Blick auf die eingenommenen Perspektiven stets alle vier Quadranten-Perspektiven einzunehmen und keine Quadranten-Perspektive zu bevorzugen.

Quadranten

Quadrivia – deine neue Klarsicht-Optik

Mit Hilfe der vier Quadranten-Perspektiven – ICH, ES, WIR, SIE – bist du nun in der Lage, die Welt vollständiger wahrzunehmen und dich mit anderen Mitmenschen über deine Beobachtungen auszutauschen. Wir nennen diese Perspektiven-Sichtweise eines Beobachters auch Quadrivia.

Als Individuum kannst du nun alles durch die vier Quadranten betrachten und darüber berichten. Indem du alle vier Quadranten systematisch anwendest, macht dir deine neue Quadrivia-Optik unmittelbar bewusst, wo der Fokus deiner Aufmerksamkeit ist und welche Aspekte der Wirklichkeit du gerade ausblendest.

Beispiel „Buch“: Objektiv betrachtet besteht ES (das Buch) aus einer bestimmten Menge Blätter aus Papier, die bedruckt, beschrieben, bemalt oder auch leer sind und mit einer Bindung und meistens auch mit einem Buchumschlag versehen ist. Autor:innen schreiben, Verlage produzieren und Buchhandlungen verkaufen Bücher (SIE). ICH finde Bücher nützlich und inspirierend. WIR (in Deutschland) erleben gerade einen Wandel in der Buchkultur, weg von physisch produzierten Büchern hin zu digital publizierten E-Books.

Perspektiven in soziokulturellen Systemen​

Für soziokulturelle Systeme wie z.B. Unternehmen, Organisationen und Gemeinschaften zeigen die oberen beiden Quadranten – stark vereinfacht – das Innen (LO) und Außen (RO) ihrer einzelnen Mitglieder, z.B. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten etc. welches sich in ihrer Mentalität und ihrem Verhalten äußert.

Hingegen betrachten die unteren Quadranten das Innen (LU) und Außen (RU) des betreffenden soziokulturellen Systems, also dessen Kultur und soziale Funktion, welche mehr ist als die Summe der Beiträge ihrer Mitglieder.

Quadranten im Business vereinfacht

Besonderheiten soziokultureller Systeme

Wie gesagt handelt es sich bei den oben abgebildeten vier Quadranten eines soziokulturellen Systems um eine stark vereinfachte Darstellung, die der Komplexität und den Besonderheiten soziokultureller Systeme nicht gerecht wird und irreführende Vorstellungen fördert.

Betrachten wir ein soziokulturelles System – z.B. eine Familie, ein Unternehmen oder einen Sportverein – genauer, so fallen uns eine Reihe bedeutsamer Unterschiede gegenüber den vier Quadranten eines Individuums auf:

  • Kein Ich – ein soziokulturelles Systems hat keine zentrale Ich-Instanz, keinen Souverän, der Absichten hegt und diese verwirklichen will. Es findet daher auch keine absolutistische Gleichschaltung und Beherrschung der beteiligten Individuen statt, wie dies die Metapher des Leviathans von Thomas Hobbes suggeriert.
  • Ein Wir – stattdessen konstituieren mehrere Individuen ein solches soziokulturelles System. Es entsteht ein inter-subjektives „Wir“-Erleben und damit einhergehende geteilte Wertevorstellungen, Wechselwirkungen, Interaktionen, soziale Systeme (Regeln, Prozesse, Strukturen) und kollektive Äußerungen.
  • Nur kollektive Quadranten – daher verfügt ein soziokulturelles System auch nicht über individuelle sondern ausschließlich über kollektive Perspektiven. Und diese werden bestimmt durch den vorherrschenden Modus des Diskurses des Kollektivs. In der Familie dreht sich die Kommunikation vor allem um die Entwicklung, Förderung und Fürsorge der eigenen Kinder sowie die Bewältigung des familiären Alltags. Im Unternehmen geht es um das entgeltliche Bereitstellen von Produkten und Leistungen. Im Sportverein dreht sich alles primär um die Pflege und Praxis bestimmter Sportarten.
  • Individuen sind keine Teile sondern Mitglieder – entsprechend besteht ein soziokulturelles System auch nicht aus Individuen. In diesem Sinne sind Individuen nicht exklusive Teile eines solchen Systems. Stattdessen beteiligen sich bestimmte Individuen an dem betreffenden System, in dem sie individuelle Beiträge leisten oder von dem System partizipieren. Wir sprechen daher auch von Individuen als Mitgliedern (oder Angehörigen) eines soziokulturellen Systems. Im Unterschied zur Exklusivität von Teilen sind Mitgliedschaften inklusiv. Individuen sind typischerweise zugleich Mitglieder/Angehörige diverser soziokultureller Systeme, z.B. der eigenen Herkunftsfamilie, dem Freundeskreis, dem aktuellen Wohnort etc.
Unternehmen als Bild für soziales Holon

Sieh die Welt um dich herum

Du hast nun eine neue, tolle Klarsicht-Optik. Nutze sie regelmäßig und du wirst mehr von der Wirklichkeit mitbekommen als du dir vorstellen kannst.

  • Mache dir bewusst wo aktuell dein Fokus liegt – im Innen oder im Außen, im Individuellen oder im Kollektiven. Wieso verweilt deine Aufmerksamkeit gerade jetzt gerade hier? Welche bewussten Motive oder auch unbewussten Bedürfnisse veranlassen sich dazu, genau diesen Ausschnitt der Wirklichkeit hervorzuheben?
  • Erkenne was du aktuell ausblendest – immer dann, wenn du auf etwas fokussierst, blendest du zugleich andere Teile der Wirklichkeit aus? Es gibt immer vier grundlegende Perspektiven: individuell-innen, individuell-außen, kollektiv-innen, kollektiv-außen. Welche davon „siehst“ du gerade nicht? wo sind deine blinden Flecken?
  • Trainiere die Vier-Quadranten-Sichtweise (Quadrivia) bei jeder Gelegenheit – Betrachte eine Situation oder ein Ding. Frage dich:
    • Was denke ich darüber? Welche Gefühle verbinde ich mit dieser Situation bzw. diesem Ding?
    • Was beobachte ich daran? Was kann ich an der Situation bzw. dem Ding (objektiv) beschreiben bzw. vermessen?
    • Wie passt diese Situation bzw. dieses Ding funktional in die Umwelt? Welchen Beitrag leistet es für die Umwelt?
    • Welche Bedeutungen hat diese Situation bzw. dieses Ding für uns und unser WIR-Gefühl? Was bedeutet es für uns und andere WIRs?

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