Integral

Der Corona-Lockdown – integral betrachtet

Schutzmaske als Bild für Corona-Lockdown

Rückkehr zur Normalität oder alles anders?

Liebe Leserin, lieber Leser. Zunächst einmal herzlichen Dank für dein Interesse an einer integralen Betrachtung der Corona-Krise. Unser Überblicksartikel, den wir vor fünf Wochen veröffentlichten, traf wohl den Nerv vieler integral interessierter Menschen. Das große Interesse und euer Feedback haben uns darin bestärkt, dass der integrale Ansatz dabei wirksam helfen kann, Klarheit und Orientierung für ein so komplexes Thema wie die Corona-Krise zu schaffen. Dafür danke!

Während unser Überblicksartikel dir vor allem ermöglichen sollte, den Integralen Ansatz – die integrale Brille – am konkreten Beispiel der Corona-Krise kennen zu lernen, wollen wir heute in erster Linie die neuesten Entwicklungen zur Corona-Krise durch diese Brille betrachten. Also weniger die Brille und ihre Funktionsweise beschreiben und mehr durch die Brille schauen. Dabei fokussieren wir erneut auf ausgewählte Phänomene in Deutschland und zwar aus drei verschiedenen Blickwinkeln:

  • Wie lassen sich die Wochen des Lockdowns integral deuten? Wir werden ein paar Spotlights der letzten Zeit noch mal integral erklären. (Spoileralarm: Toilettenpapier-Hersteller klagen über massive Umsatz-Rückgänge.)
  • Wie wird mit den aktuellen Lockerungen der Maßnahmen aus integraler Sicht umgegangen? Wir werden ausgewählte aktuelle Situationen und Diskurse aus integraler Sicht untersuchen.
  • Wie wird es vermutlich weitergehen? Wir werden in unsere integrale Glaskugel schauen und ein wenig in die Zukunft schauen.

Dieses Updates basiert auf unserem Artikel „Die Corona-Krise – integral betrachtet“ vom 23.03.2020, welcher den integralen Ansatz sehr umfassend am Beispiel der Corona-Krise darstellt. Du musst ihn nicht lesen für dieses Update. Es ist allerdings hilfreich, die integralen Grundbegriffe zu verstehen. Eine kompakte Einführung dazu findest du auch in unserem Artikel „Was ist integral?“ sowie im Blog-Beitrag „Die Integrale Landkarte“.

Die letzten Wochen – Fortschritte, Rückschläge und Bemerkenswertes

Tatsachen

Ein guter Ausgangspunkt, um zu verstehen und zu bewerten, was sich in den Wochen während des so genannten Lockdowns ereignet hat, ist eine Würdigung der empirischen Daten und Fakten zur Corona-Krise, die aus zuverlässigen, Peer-Review-überprüften und anerkannten Quellen stammen und wissenschaftlichen Standards folgen. Integral gesprochen betrachten wir zunächst das Geschehen in den rechten objektiven Quadranten (Verhalten und Systeme).

Vor gut fünf Wochen zählte das Robert-Koch-Institut (RKI) noch rd. 22.670 bestätigte Corona-Infektionen in Deutschland, darunter rd. 90 Todesfälle (Stand 23.03.2020). Heute sind es 181.482 bestätigte Corona-Fälle mit 8.500 Toten (Stand 31.05.2020). Das entspricht einem Zuwachs von rd. 700 Prozent mehr bestätigten Infektionen und rd. 934 Prozent mehr Toten in nur fünf Wochen. Etwa jeder zwanzigste Infizierte stirbt an den Folgen seiner Corona-Infektion. Da nicht jeder Corona-Infizierte einen Arzt aufsucht liegt die Dunkelziffer der unbestätigten Corona-Infektionen und nicht registrierten Corona-Todesfälle in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Experten-Schätzungen drei- bis elfmal höher als die Zahl der erfassten Fälle.

Mit einer Letalität von 4,6 Prozent steht Deutschland laut statista.com im weltweiten Kampf gegen das Corona-Virus Sars-CoV-2 noch vergleichsweise gut da – selbst angesichts der Unterschiede in der Datenlage, Erfassung und Gesundheitsversorgung der Länder, die einen direkten Vergleich von Ländern erschweren. In anderen europäischen Ländern ist die Letalität deutlich höher: 11,4 Prozent in Spanien, 14,1 Prozent in England, 14,3 Prozent in Italien, 15,6 Prozent in Frankreich und mit 16,3 Prozent belegt Belgien den traurigen ersten Platz der Weltrangliste.

Und die Letalität von Covid-19 liegt weit über jener der saisonalen Grippe (2017/2018: 0,5 Prozent). Zum Vergleich: In der außergewöhnlich starken Grippewelle 2017/18 gab es rund 334.000 labordiagnostisch bestätigte Influenza-Fälle, von denen 1.674 tödlich endeten.

Was also ist dran an der weit verbreiteten Behauptung die Grippe sei viel tödlicher als die aktuelle Covid-19-Pandemie?

Sie erweist sich bei näherer Überprüfung als nicht haltbar. Ihr liegt eine unbeabsichtigte oder beabsichtigte Verwechselung von Letalität und Mortalität zugrunde, bei der die labordiagnostisch bestätigten Todesfälle – Letalität – mit den statistisch ermittelten Todesfällen einer Gesamtpopulation – Mortalität – unzulässigerweise miteinander verglichen werden (Äpfel und Birnen). Die Mortalität der Grippewelle 2017/2018 wurde statistisch mit 25.100 Todesfällen geschätzt, und zwar bezogen auf ganz Deutschland. Vergleichen wir dies unzulässigerweise mit der aktuellen Letalität von zurzeit 8.500 labordiagnostisch nachgewiesenen Covid-19-Todesfällen – ohne Berücksichtigung der Dunkelziffer – wirkt die Grippe natürlich deutlich bedrohlicher als Covid-19. Nur dass dieser mathematische Vergleich von Äpfeln mit Birnen schlicht nicht zulässig ist, und entsprechend Sinn-entstellte Verzerrungen produziert und erhebliche Verwirrungen in der deutschen Bevölkerung anrichtet.

Soweit erst einmal zu einigen wichtigen Fakten der letzten Wochen.

Was lernen wir daraus?

  • Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit Blick auf die Letalität von Covid-19 immer noch vergleichsweise gut da. Irgendwie scheinen wir aktuell viel Glück zu haben und/oder in der Vergangenheit und/oder Gegenwart einiges richtig gemacht zu haben. Dafür können wir dankbar sein – und diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir aktuell so vergleichsweise gut dastehen, können auch stolz sein auf sich, ihre Mitstreiter und das Geleistete, auch wenn dies eine vergleichsweise ungewohnte Empfindung sein mag.
  • Im Eifer des Gefechts werfen Befürworter und Gegner von Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie gerne schnell und viel mit Zahlen, Daten und Fakten um sich, ohne deren Herkunft und Bedeutung wirklich zu kennen, zu überprüfen oder gar zu verstehen. Dies führt leider immer wieder dazu, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden – wie im Vergleich zwischen Grippe-Mortalität und Covid-19-Letalität. Die Auswirkungen solcher unseligen Falschinformationen für die Gesellschaft und den Einzelnen sind gravierend. Mitmenschen werden so völlig verunsichert und verängstigt und verstehen die Welt nicht mehr angesichts der krassen Widersprüche, die ihnen durch Medien und Mitmenschen präsentiert werden.
  • Die aktuelle Covid-19-Pandemie ist deutlich schwerwiegender als die Grippe-Epidemie 2017/2018, die laut Prof. Lothar Wieler vom RKI als schwerste Grippewelle mit der „höchsten Zahl an Todesfällen der vergangenen 30 Jahre“ gilt. Dies rechtfertigt und erfordert staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise, die deutlich über jenes Maß hinausreichen, welches wir von saisonalen Grippewellen gewohnt sind. Inwieweit diese Maßnahmen mit dem Grundgesetz und der Verfassung im Einklang stehen, ist ein zentraler Aspekt des gesellschaftlichen Diskurses, der aktuell noch offen ist und die Gerichte, Politik und Gesellschaft vermutlich noch lange beschäftigen wird.

Zumutungen, Belastungen und Disziplin während der letzten Wochen

Die Covid-19-Pandemie stellt Deutschland vor eine außerordentliche Bewährungsprobe. Die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dabei verfolgt die Bundesregierung drei Zielsetzungen:

  1. Die Gesundheit der Bevölkerung schützen.
  2. Folgen für Bürgerinnen und Bürger, Beschäftigte und Unternehmen abfedern.
  3. Die Pandemie gemeinsam mit den europäischen und internationalen Partnern bewältigen.

Die beschlossenen Maßnahmen reichen von der Meldepflicht über die Forderung an jeden Einzelnen, einen Mindestabstand von 1,5 bis 2 Metern einzuhalten und soziale Kontakte auf ein Minimum zu beschränken, bis zur Empfehlung zur Absage von Groß-Veranstaltungen, später auch von kleinen Veranstaltungen (z.B. Familienfeiern, Theateraufführungen und Kinobesuche).

Von Beschränkungen für den Aufenthalt im Freien sowie einer Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften über die Schließung von Gastronomie, Geschäften und Dienstleistungsbetrieben, bei denen eine körperliche Nähe unabdingbar ist, sowie von Schulen, Kitas, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen, bis hin zu Einschränkungen von Besuchen in Pflegeheimen.

Von einem Einreisestopp für Drittstaatler über eine weltweite Reisewarnung, Einschränkungen des grenzüberschreitenden Personenverkehrs, vorübergehende Grenzkontrollen, Reisebeschränkungen, die Anordnung einer zweiwöchigen häuslichen Quarantäne für Einreisende, bis hin zur staatlich koordinierten Rückführung im Ausland gestrandeter deutscher Staatsbürger aus ihren Urlaubs-Destinationen.

Von der Aufstockung von Personal in Gesundheitsämtern, Krankenhäusern und in essenziellen Versorgungsbranchen, über den Ausbau von Testkapazitäten, der Entwicklung einer Kontakt-Tracing-App, der Erweiterung des Infektionsschutz-Gesetzes, dem Ausbau der Intensivversorgung, der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung, dem Verschieben planbarer medizinischer Eingriffe bis hin zur finanziellen Förderung zur Entwicklung von Therapien, Medikamenten und Impfstoffen.

Von Verbesserungen des Kurzarbeitergeldes über Vereinfachungen zur Grundsicherung, Modifikationen des Kündigungsschutzes, Aufschieben von Zahlungen für Strom, Gas, Telefon, Verbraucherdarlehen und Steuern, Hilfsprogrammen einfache Vergabe von Krediten und Soforthilfen für Unternehmen und Selbstständige bis hin zur Unterstützung der Länder und Kommunen durch die Bundeswehr etc.

Um nur einige der vielen Maßnahmen von Bund und Ländern zu nennen.

Auch wenn sicherlich rückblickend die eine oder andere beschlossene Maßnahme kritisch hinterfragt werden kann und muss – hinterher sind wir ja meist schlauer als vorher –, haben Bund und Länder aus integraler Sicht insgesamt vergleichsweise schnell, vergleichsweise geschlossen und entschlossen und vergleichsweise wirksam auf die Corona-Pandemie reagiert – gemessen an den üblichen zeitaufwändigen administrativen und politischen Prozessen in unserer parlamentarischen Demokratie. Insbesondere zu Beginn der Krise, wo noch wenig Erkenntnisse über die Verbreitung, Infektionswege und die Verläufe von Corona-Erkrankungen bekannt waren. Und es war aus unserer Sicht ebenfalls gut und hilfreich, im Zuge der Lockerungen, den Entscheidungsspielraum der Länder zu stärken, um besser auf regionale Unterschiede und lokale Besonderheiten eingehen zu können.

Die Maßnahmen zielten auf Wirkungen in allen vier Quadranten: Individuelles Verständnis und Einsicht (oben links) und individuelle Verhaltensweisen (oben rechts), Beachten systemischer Zusammenhänge und orchestriertes institutionelles Handeln (unten rechts) sowie Betonung und Thematisierung kultureller Aspekte (unten links). Und sie waren im Zusammenspiel insgesamt wirksam – letztlich weil nahezu alle Bürgerinnen und Bürger wesentlich dazu aktiv beigetragen bzw. daran mitgewirkt haben, viele dieser Maßnahmen im Alltag wirksam umzusetzen. Sei es als Handelnde in „systemrelevanten“ und allen anderen Lebensbereichen oder einfach durch Aufmerksamkeit, Respekt und Solidarität im zwischenmenschlichen Miteinander.

Allerdings wirkte die schiere Masse und Wucht der binnen nur weniger Wochen verabschiedeten und der Bevölkerung zugemuteten Maßnahmen auf viele Bürgerinnen und Bürger extrem unerwartet und überraschend – schockierend. Abgesehen von wenigen Experten hatte eine solche Situation niemand kommen sehen – weder den Ausbruch einer solchen Pandemie noch derart umfassende und stark in die persönliche Lebenssituation jedes Einzelnen eingreifende Maßnahmen.

Der Schock dieser wie ein Springteufel plötzlich erscheinenden und unerwarteten neuen Realität hat viele Mitmenschen eiskalt erwischt und tiefe Spuren im gesellschaftlichen Gewebe hinterlassen. Zentrale mythische, rationale und pluralistische Wertesysteme, auf denen unser Zusammenleben basiert, wurden plötzlich in Frage gestellt. Bestehende Regeln und Rollen der öffentlichen Ordnung sowie die Zugehörigkeit vieler Mitmenschen wurden u.a. durch die strengen behördlichen Auflagen, Beschränkungen und Verbote zum Schutz der Bevölkerung und insbesondere der Risikogruppen erheblich irritiert. Die freie Ausübung des eigenen Berufs, zahlreiche wirtschaftliche Aktivitäten und auch selbstbestimmtes Handeln wurde in vielen Bereichen stark eingeschränkt. Und die für unsere pluralistische Gesellschaft so wesentlichen Prinzipien der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen, Ideen, Werte und Weltanschauungen wirkten plötzlich „wie außer Kraft gesetzt“ angesichts der von Bund und Ländern entschiedenen Maßnahmen sowie der von lautstarken Meinungsmachern verbreiteten Überzeugungen, die einen ernsthaften, notwendigen und nüchternen gesellschaftlichen Diskurs bis zur Unkenntlichkeit erschwerten.

Insofern reagierte die Bevölkerung auf diesen Schock mit einem Spektrum unterschiedlichster Reaktionen, die aus den betreffenden (mythischen, rationalen und pluralistischen) Perspektiven völlig verstehbar sind, und welche von Ohnmacht und existenzieller Angst über Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, Wut, Frustration und der Sorge vor einer Corona-Diktatur sowie unbeirrbaren Überzeugungen zu konspirativen Verschwörungen bis hin zu einer bei relativ vielen Mitmenschen anzutreffenden positiven Gestimmtheit, Gelassenheit und Zuversicht reichen. Viele der in unserem Überblicksartikel skizzierten Belastungen und Reaktionen auf die Corona-Krise und die beschlossenen Maßnahmen haben sich in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt

Mit einem hohen Maß an Akzeptanz und Disziplin – und unter hohen persönlichen Opfern – wurden die meisten der beschlossenen Maßnahmen von den meisten Mitmenschen in den Wochen des Lockdowns aktiv umgesetzt und mitgetragen, so dass inzwischen eine Reduzierung der täglichen Neuinfektionen und zu beklagenden Corona-Todesfälle erreicht werden konnte. Dieses Maß an konstruktiv-kritischer Mitwirkung weiter Teile der deutschen Bevölkerung war nicht unbedingt vorhersehbar und hat umso erfreulicher dazu beigetragen, dass wir inzwischen einige Lockerungen vornehmen können. Und auch darauf können wir ganz uneitel stolz auf uns und unsere Mitmenschen sein – aus der Gewissheit heraus, heilsam und wirkungsvoll zu etwas „Ganzem“ beigetragen zu haben.

Sprache schafft Realität – also welche Realität wollen und wünschen wir uns?

Als soziale Wesen benötigen wir Menschen Geschichten. Mit unseren Narrativen bestimmen wir unsere Zugehörigkeit zu anderen Mitmenschen, wir verbinden uns mit den Heldinnen und Helden unserer Geschichten, möchten so sein wie sie und bauen so unsere Gemeinschaften und ganze Gesellschaften auf diesen Geschichten auf. Sprache schafft Realität und wir wollen hier kurz integral betrachten, welche Realität(en) aktuell geschaffen werden.

Insbesondere zu Beginn der Krise aber auch heute noch erscheinen immer wieder kriegerische (magisch-mythische) Begriffe im gesellschaftlichen Diskurs. Da ist die Rede vom „Krieg gegen das Corona-Virus“, der Virus Sars-CoV-2 sei unser „gemeinsamer Feind“ und Supermärkte und Krankenhäuser werden entsprechend zu „Fronten“ in diesem Krieg erklärt. Menschen, die bereits Kriege miterlebt haben oder als sorgenvolle Mitmenschen in den Medien mitverfolgen, reagieren außerordentlich alarmiert auf eine solche Rhetorik und ein ganzes „Arsenal“ an traumatischen Erlebnissen wird in ihnen unmittelbar reaktiviert. Kriege sind mit martialischen staatlichen Eingriffen, menschenverachtenden Übergriffen und unsäglichem Leid verbunden. Entsprechend wehren sich die betroffenen und verständlicherweise verängstigten Menschen gegen solche Formen der Aggression, „kämpfen um ihr Leben“. Eine solche Kriegs-Rhetorik vernebelt allerdings mehr als dass sie zur Orientierung und einem klarem (rationalen) Verständnis der Corona-Krise beiträgt, da sie mit einem ganzen Set an vordefinierten Rollen (Feind, Opfer, Tote, Versehrte, Freiheitskämpfer, Kriegsgefangene etc.) und als legitim oder illegitim betrachteten kriegerischen Handlungen einhergeht (z.B. Gewalt, Angriff, Hinterhalt, Widerstand, Gefangennahme, Folter, Verletzung, Missbrauch etc.). Diese Zuschreibungen lassen sich nicht einfach diskursiv ausblenden und eignen sich als ausgezeichnete Projektionsflächen und Verstärker für unsere Urängste. Sie werden von Manipulatoren (z.B. Trollen) gezielt instrumentalisiert. Schlimmstenfalls empfinden wir alle noch mehr Angst und Ohnmacht als die Tatsache der Krise und der Maßnahmen uns ohnehin bereits zumutet. Und Angst und Ohnmacht führen nicht unbedingt zu überlegten, klugen und vor allem souveränen Handlungen, sondern befördern leider eher unüberlegte, von Angst motivierte, hektische Reaktionen. Aus der Psychologie wissen wir, dass Menschen schlechte Entscheidungen treffen, wenn und weil sie sich in einem schlechten Zustand befinden, der ihnen angesichts ihrer misslichen Lage den Zugang zu ihrem eigenen souveränen Potenzial versperrt. Zugleich verstellt eine solche Kriegs-Rhetorik den Blick für das, was wirklich gerade wichtig und hilfreich wäre: rationale Vernunft sowie pluralistische Achtsamkeit, Fürsorge, Mitgefühl, Heilung und Ermutigung – Aspekte einer positiven Psychologie, welche die Menschen trotz der anhaltenden Krise stärken, resilienter machen und erblühen lassen kann.

Natürlich springen auch zahlreiche mit der Krise einhergehende englische bzw. neudeutsche Begriffe ins Ohr oder Auge, z.B. „Social Distancing“, „Lockdown“, „Homeschooling“ und „Infodemie“, um nur einige zu nennen. Die Bedeutung solcher Begriffe erschließt sich den nicht-englisch kundigen Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nicht oder nur sehr schwer – und dies sind statistisch geschätzt rund ein Drittel der Bevölkerung, eher die älteren als die jüngeren. Und selbst für englisch-kundige Mitmenschen bleibt ihre Bedeutung wenn überhaupt vage – und lässt viel Raum für Fragen bzw. Interpretationen. Soll ich mich wirklich sozial von meinen Mitmenschen distanzieren? Reicht nicht ein räumlicher Abstand zu ihnen?

Der englische Begriff „Lockdown“ bedeutet übersetzt: „Abriegelung, Ausgangssperre“, der alternativ verwendete Begriff „Shutdown“ bedeutet „Stilllegung, Abschaltung“. Die Verwendung dieser Begriffe im öffentlichen Diskurs suggeriert das Bild, das zuvor weltoffene Deutschland sei von der Regierung abgeriegelt, stillgelegt und abgeschaltet worden, die Wirtschaft, das öffentliche Leben und die privaten Lebensbereiche seien heruntergefahren worden und somit zum Erliegen gekommen. Tatsächlich war die Wirkung der Maßnahmen für die Wirtschaft, die Gesellschaft, die zahlreichen Gemeinschaften und jeden Einzelnen von uns – wie gesagt – beträchtlich und mit hohen Opfern und teilweise schmerzhaften Entbehrungen verbunden (z.B. Kontaktverbot, Jobverlust, Kurzarbeit, Verlust von Aufträgen, Betriebsschließungen in vielen Branchen und vieles andere mehr).

Doch gab es bei uns flächendeckende Ausgangssperren, bei denen man – wie z.B. in Frankreich geschehen – nur mit einem Passierschein unterwegs sein durfte und regelmäßig von Polizisten kontrolliert wurde? Nur sehr lokal begrenzt in einer Handvoll Ortsteile. Wurde die Wirtschaft wirklich vollständig abgeschaltet und heruntergefahren, wie es diese Begriffe suggerieren? In einigen Branchen ja, in anderen Branchen nur teilweise – jedenfalls nicht im Lebensmittel-Einzelhandel, der sich zeitweise vor Umsätzen garnicht retten konnte. Ist das öffentliche Leben wirklich zum Erliegen gekommen? Konnten wir nur in Teilen beobachten, z.B. im Kulturbetrieb, bei Gastronomie und Tourismus (um einige Bereiche zu nennen). Wurde das Land oder ein Ort gar vom Militär unter Quarantäne gestellt und abgeriegelt wie in dem Film „Outbreak“ des deutschen Regisseurs Wolfgang Petersen? Uns nicht bekannt.

Und haben wir den Weisungen der Regierung etwa aus Angst vor staatlichen Repressionen (magisch-mythisch), aus Gehorsam und Pflichtgefühl (mythisch) oder eher aus Vernunft (rational) oder aus Mitgefühl (pluralistisch) Folge geleistet? Welche Rolle und Verantwortung kam und kommt uns als mündigen Bürgerinnen und Bürgern dabei zu?

Wer in den letzten Wochen mal auf der Straße, in Parks oder sonst wo außerhalb der eigenen vier Wände unterwegs war oder sich in seinem Bekanntenkreis umhört, konnte sich manches Mal nur verwundert die Augen reiben, wie umtriebig, aktiv und lebendig viele – aber eben weithin nicht alle – Mitmenschen während und trotz dieser Stilllegung, Abriegelung und Abschaltung waren.

Der Begriff „Homeschooling“ enthält ebenfalls ein Set an subtilen Botschaften, die suggerieren, dass die Schule zuhause erfolgt. Werden die vielleicht ohnehin bereits gestressten Eltern plötzlich noch zu Pädagogen ihrer eigenen Kinder? Wie erkläre ich meinem Kind den Satz des Pythagoras? Habe ich überhaupt gute oder eher schlechte Erinnerungen an Mathe während meiner eigenen Schulzeit? Übernehme ich jetzt nicht mehr oder weniger gut eine Aufgabe, für die sonst von unseren Steuern bezahlte, studierte und kompetente Pädagogen zuständig sind?

Und was machen die Lehrer eigentlich während des Lockdowns? Wen dies wirklich interessiert, dem empfehlen wir mal das Gespräch mit einem Lehrer oder einer Schulleiterin zu suchen. Eingezwängt zwischen täglich neuen Vorgaben der Schulbehörden, begrenzten Möglichkeiten und Ressourcen an den Schulen und gestressten und teilweise überforderten Eltern – und den Schülern, die im Zentrum all ihrer Anstrengungen stehen sollen – leiden diese jedenfalls gerade nicht an Langeweile oder Untätigkeit.

Die im Zuge der Corona-Krise entstandene Neuschöpfung „Infodemie“ bezeichnet einigermaßen treffend die epidemieartig und hoch ansteckende Verbreitung von Falschmeldungen unterschiedlichster Herkunft, Art und Motivation, denen wir in den sozialen Medien oder bei öffentlichen Protesten kaum entrinnen können. Vielen Mitmenschen wird das Ausmaß dieser absichtlich in die Welt gesetzten und unhinterfragt weiter kolportierten alternativen Wahrheiten – so genannter Fake News – zunehmend bewusst. Und viele fragen sich aktuell, was sie selbst angesichts der Flut der um ihre Aufmerksamkeit buhlenden zutreffenden und irreführenden Informationen überhaupt noch glauben können. Willkommen in der postfaktischen Welt, in der die rationale Vernunft überwunden wurde und insbesondere Menschen mit einem mythischen oder pluralistischen Struktur-Schwerpunkt für Storytelling und alternative Welt-Erklärungen sehr empfänglich sind.

Kommen wir aus integraler Sicht zu drei wirklich heiklen Begriffen: „systemrelevant“ (rational), „Corona-Held“ (magisch-mythisch) und „Risikogruppe“ (rational). Wieso heikel? Alle drei suggerieren eine vermeintlich klar erkennbare Unterscheidung zwischen Personen und Einrichtungen, die dazugehören, und solchen, die genau nicht dazugehören. Naheliegend, dass Ärztinnen und Pflegekräfte, Krankenhäuser und Rettungsdienste systemrelevant sind, ebenso Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen (man denke nur an all das Toilettenpapier).

Aber bedeutet dies – pluralistisch gefragt – im Umkehrschluss, dass Personen und Einrichtungen, die nicht auf der Liste der systemrelevanten Bereiche des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) stehen, weniger wichtig, weniger bedeutsam, weniger „wert“ sind? Hat nicht die alleinerziehende Mutter, die im Homeoffice ihrer engen Wohnung arbeitet und zeitgleich das Homeschooling für ihre Kinder organisiert und durchführen muss nicht auch eine gewisse Systemrelevanz? Zumindest für ihre Kinder? Oder der Sohn, der vor der Krise seinen dementen Vater täglich im Pflegeheim besuchen konnte? Sind wir nicht alle irgendwie systemrelevant? Auf die eine oder andere Art selbst unbesungene und unbeklatschte Corona-Helden? Oder gehören wir nicht alle irgendwie zu einer Risikogruppe? Und – wollen und können wir uns als weltoffene, pluralistische Gesellschaft ingesamt überhaupt eine solche Unterteilung zwischen mehr und weniger systemrelevanten Mitmenschen kulturell, ethisch, moralisch und sozial leisten? Stigmatisieren wir damit nicht Mitmenschen auf die eine oder andere Weise? Wir persönlich sind jedenfalls sehr froh, dass die unerträglich menschenverachtende und gesellschaftszersetzende Idee, Menschen mit entsprechenden Ausweispapieren zu versehen, die von einer Corona-Infektion genesen sind und nun mehr als immun gelten (Stichwort „Herdenimmunität“), ebenso rasch aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist wie sie auftauchte.

Wissenschaftlicher Erkenntnisprozess ist kontrovers

Viele Mitmenschen wundern sich über die öffentlich ausgetragenen Kontroversen, widersprüchlichen Aussagen und sich laufend ändernden Empfehlungen der in der medialen Öffentlichkeit in Talkshows, der Presse, in Interviews und Podcasts präsenten Virologen, Forscher und anderen wissenschaftlichen Experten.

Für Menschen, die keinen direkten Einblick in die rationale Kultur und Praxis wissenschaftlicher Forschung haben, wirken diese Auftritte und Äußerungen kontrovers miteinander „streitender“ Wissenschaftler, die häufig keine erkennbare Einigung mit sich bringen, oft eher verstörend und hinterlassen dem interessierten Publikum manches mal mehr Fragen als befriedigende Antworten. Was denn nun? Sind Kinder genauso ansteckend oder weniger ansteckend wie Erwachsene? Corona verbreitet sich doch als Tröpfcheninfektion – und nun sollen Aerosole plötzlich infektiös sein? Was bedeutet dies für die Masken-Nutzung?

Dabei gehört die sachlich-argumentative Auseinandersetzung zum Wesen von Wissenschaft und Erkenntnisfortschritt. Zu den bewährten Gepflogenheiten des wissenschaftlichen Arbeitens gehört unter anderem, dass Artikel zur Veröffentlichung in wissenschaftlichen Fachpublikationen einer rigorosen Prüfung durch Fachkollegen – so genannten Peers – unterzogen werden und Doktoranden ihre Arbeit im Rahmen der Disputation öffentlich „verteidigen“ müssen. Und es ist selbstverständliche Praxis unter Forschern sich über ein Thema kontrovers, jedoch rational auseinanderzusetzen – genau so funktioniert wissenschaftlicher Fortschritt.

Entscheidend hierbei ist eher, welche Beiträge die betreffenden Experten in der wissenschaftlichen Peer-Community geleistet haben. So halten sich viele ausgewiesene Experten an den Grundsatz von Wittgenstein: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“ und vermeiden sich öffentlich über Sachverhalte zu äußern, von denen sie keine oder nur wenig Sachkenntnis haben.

So äußerte sich der Virologe Christian Drosten im Corona-Podcast des NDR (Folge 40) über die Infodemie und die vielen mehr oder weniger selbst ernannten Corona-Experten:

„Ich würde mich nie trauen, irgendwelche Dinge an die Öffentlichkeit zu geben, die auch noch so viel Meinung beinhalten, z.B. über Bakterien. Ich bin Virologe und ich würde mich nie äußern zu einem bakteriologischen Thema. Und das ist ja jetzt für den normalen Zuschauer fast dasselbe, Viren und Bakterien, für einen Wissenschaftler aber nicht. Es geht sogar viel weiter. Ich würde mich auch nicht trauen innerhalb der Virologie mich in dieser Breite und dieser Meinungsstärke zu äußern zu einem anderen Virus als dem Virus, an dem ich hier arbeite. Man kann die Literatur und man kann die Fachkenntnis in diesem Gebiet nicht kennen, wenn man nicht absoluter Spezialist ist. Und das ist der einzige Grund, warum ich als Person hier überhaupt in der Öffentlichkeit stehe, nicht weil ich besonders schlau bin oder weil ich besonders gut reden kann oder irgendetwas – sondern weil ich als Spezialist an genau diesen Viren arbeite. Und was ich höre, zum Teil auch eben von scheinbaren Fachleuten, die sind sicherlich auch Fachleute auf ihrem eigenen Forschungsgebiet oder waren es zum Teil auch während sie noch berufstätig waren, das entbehrt einfach jeder Grundlage. Das sind Allgemeinplätze, die nicht über eine oberflächliche Kenntnis von Studenten-Lehrbuchwissen hinausgehen. Und mit dieser Wissensbasis posaunt man dann Videos in die Öffentlichkeit und stärkt den wirklich gefährlichen Verschwörungstheoretikern, die zum Teil auch politische Agenden haben, den Rücken.“

– Christian Drosten

Lockerungen seit Ende April

Am 15. April 2020 wurde von Bund und Ländern ein erstes Maßnahmenpaket zur Lockerung einiger der seit 23. März geltenden Maßnahmen beschlossen, die den Lockdown charakterisierten. Zwei weitere Maßnahmenpakete mit gleicher Zielsetzung folgten bis zum 06. Mai. Zu diesen Lockerungen zählen u.a.

  • Schrittweise Öffnung der Schulen und Kindertagesstätten ab Ende Mai.
  • Empfehlung zum Tragen von sogenannten Alltagsmasken im ÖPNV und Einzelhandel.
  • Öffnung von Einzelhandels-Geschäften mit einer Verkaufsfläche bis 800 Quadratmeter, ab 06. Mai aller Geschäfte unter Auflagen.
  • Eine 14-tägige Überprüfung der aktuell gültigen Maßnahmen auf Wirksamkeit und Notwendigkeit.
  • Versammlungen zur Religionsausübung dürfen wieder stattfinden.
  • Öffnung von Spielplätzen, Museen, Ausstellungen und Galerien, Gedenkstätten, zoologischen und botanischen Gärten unter Auflagen.
  • Lockerung von Besuchsbeschränkungen für Kliniken, Pflegeheime und Behinderteneinrichtungen.
  • Länder erhalten weitgehend die Verantwortung für weitere Lockerungen, sollen aber bei einer Überschreitung der Obergrenze notwendige Beschränkungen beschließen und umsetzen.

Manche Mitmenschen schlagen über die Stränge…

Viele Mitmenschen reagieren auf die Lockerungen mit Euphorie und Überschwang, treffen sich endlich wieder mit Freunden, stehen auf Straßen und Plätzen in Gruppen zusammen und gehen aus als wäre nichts geschehen. Seit Anfang Mai erinnert manche deutsche Innenstadt an die Vorweihnachtszeit – nur ohne Weihnachtsdekoration. Und auch in Parks und an anderen Orten herrscht ein reges Treiben.

Andere Bürgerinnen und Bürger bleiben bewusst zuhause und betrachten dieses Treiben mit Argwohn in Sorge vor Rückschlägen. Und die lassen natürlich auch nicht lange auf sich warten. Seitdem kommt es vermehrt zu lokalen Ausbrüchen von Corona-Infektionen, in denen Versammlungen mehrerer Menschen und die Verletzung vernünftiger Corona-Maßnahmen (Abstand, Maske) eine wichtige Rolle spielen.

So infizieren sich am 10. Mai bei einem Gottesdienst in einer Frankfurter Kirchengemeinde mehr als 200 Personen. Nase-Mund-Masken wurden offenbar nicht getragen.

Bei der Wiedereröffnung eines Restaurants am 15. Mai in Moormerland infizieren sich ingesamt 34 Personen, mehr als 200 Personen werden unter Quarantäne gestellt. Wie konnte das passieren? Hände wurden geschüttelt, Mindestabstand und Maskenpflicht nicht eingehalten.

Auch in Bremerhaven gibt es Ende Mai einen Corona-Ausbruch in einer Glaubensgemeinde mit derzeit mindestens 49 Infizierten und mehr als 140 Personen unter Quarantäne nach ersten Erkenntnissen.

Wir werden uns vermutlich an solche lokalen Ausbrüche gewöhnen müssen, solange es noch keinen Impfstoff gegen das Corona-Virus und menschliche Unachtsamkeit gibt. Und können nur hoffen, dass solche Ausbrüche möglichst rasch entdeckt und die betroffenen Menschen schnell unter Quarantäne gestellt und falls erforderlich medizinisch versorgt werden. Da das Virus im Mittel 5 bis 6 Tage (in einigen Fällen bis zu 14 Tagen) braucht, bis sich erste Symptome zeigen und die Ansteckungsgefahr bereits zwei Tage vor Symptombeginn gegeben ist, können wir alle nur hoffen, dass die Betroffenen und Beteiligten möglichst rasch und eigenverantwortlich die richtigen Schlüsse ziehen.

Corona-Proteste – vielstimmige Chöre

Wegen der Einschränkung zahlreicher Grundrechte protestierten im Mai Tausende Menschen in vielen deutschen Großstädten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, etwa in Stuttgart, München, Frankfurt am Main und Berlin, an vielen Orten begleitet von zahlreichen Gegendemonstrationen.

Der Protest fand unter strengen Auflagen statt, um eine Verbreitung des Corona-Virus zu vermeiden, und war auf den meisten Kundgebungen weitgehend friedlich. Behördliche Auflagen z.B. eines Mindestabstands sowie eine Maskenpflicht wurde jedoch von vielen Demonstranten nicht eingehalten: „Corona-Diktatur“, „Freiheit statt Zwang“, „Maskenpflicht ist moderne Sklaverei“, „Corona ist Fake“, „Wir sind das Volk“ und „Gib Gates keine Chance“ waren Aussagen, die immer wieder zu lesen und zu hören waren.

Dabei kam bei vielen Kundgebungen eine sehr heterogene Mischung an Demonstranten zusammen. Von Bürgerinnen und Bürgern, die sich ernsthaft Sorgen um die Verfassungsmäßigkeit der von Bund und Ländern beschlossenen Corona-Maßnahmen oder die Zukunft ihres Arbeitsplatzes machen, über Rechtsextremisten, Esoteriker, Impfgegner, bis hin zu Verschwörungsgläubigen und zahlreichen selbst ernannten Experten, die sowieso wissen, was Sache ist und „die Wahrheit“ verbreiten. Auch einige Promis nutzten die Proteste dafür, neue Follower zu gewinnen und sich als „Retter“ medienwirksam in Szene zu setzen. Entsprechend breit und unterschiedlich war das Spektrum der Projektionen und Feindbilder, welches bei den Protesten offensichtlich wurde. Es reichte von „Bill Gates“ über „die da oben“, wahlweise „die Lügenpresse“ oder die „Systempresse“, „der Kapitalismus“, „die Virologen“, „5G“, „die Chinesen“, „Impfungen“, „Chemtrails“ bis hin zu „dem Merkel-Regime“.

Auf vielen Kundgebungen wurde ein Phänomen sichtbar, welches den Sicherheitsbehörden schon seit längerem Sorge bereitet, nämlich das Kapern der legitimen Proteste und die Instrumentalisierung von Demonstrationen und Protestierenden durch Links- und Rechtsextremisten, Verschwörungsideologen und Manipulatoren, die auf diese Weise versuchen, ihre eigenen Agenden voranzutreiben. Sie machen sich die Unsicherheit zunutze, die viele Bürgerinnen und Bürger durch die globale Corona-Pandemie verspüren und machen sie mental zu Geiseln ihrer kruden Vorstellungen. Und diese normalen Bürger lassen sich dann vielfach unreflektiert hineinziehen und bauen ein positives Verhältnis zu ihren Geiselnehmern auf – ohne wirklich zu erkennen, wie sie gerade manipuliert werden. Wenn wir dann von Teilnehmern einer Demonstration darüber aufgeklärt werden, wie wichtig es sei, endlich „die Augen auf zu machen“ und endlich „selbstständig zu denken“ anstelle wie bislang nur stumpf zu konsumieren und der Systempresse unreflektiert alles zu glauben – können wir in etwa erahnen, wie viel Aufklärungsarbeit im demokratischen und gesellschaftlichen Diskurs noch zu leisten ist.

Wie wird es vermutlich weitergehen?

Wie wird unsere Zukunft nach Corona sein?

Welche Schlüsse aus den gemachten Erfahrungen ziehe ich persönlich für mich und meine Liebsten? Was ist mir wirklich wichtig – und was ist entbehrlich für mich? Wie gehe ich künftig an Herausforderungen heran und welche Lösungen finde ich? Wie gehe ich künftig mit meinen Ängsten und erlittenen Traumata um? Werde ich künftig Menschen gegenüber scheuer oder offener sein? Werde ich aus Angst vor Ansteckung künftig Situationen und Orte meiden, z.B. Arztbesuche?

In welcher Weise werde ich mich künftig anders verhalten? Werde ich weiterhin Mundschutz in der Öffentlichkeit tragen, die Abstandsregeln befolgen und meine Hände regelmäßig desinfizieren? Bin ich inzwischen unwissentlich immun gegen das Corona-Virus oder noch nicht? Lasse ich mich testen, um dies für mich zu klären? Wie verändern die Spätfolgen einer schweren Corona-Erkrankungen meine Möglichkeiten, z.B. Ausdauersport zu betreiben?

Welche Veränderungen in unseren sozialen Kontexten, Systemen, Institutionen und Infrastrukturen können wir erwarten? Wird es eine weitere Welle geben? Wie werden wir mit lokalen Corona-Ausbrüchen künftig umgehen? Wird es jährlich wiederkehrende Corona-Saisons geben vergleichbar saisonalen Grippe-Wellen? Wann wird es einen Impfstoff geben? Wie werden wir Risikogruppen bis dahin schützen? Wie werden wir die erheblichen Kosten der Corona-Krise und ihrer Nachwirkungen stemmen? Wie werden sich die öffentlichen Institutionen und die Wirtschaft verändern, um künftigen Epidemien besser begegnen zu können?

Wie werden wir unser kulturelles Miteinander gestalten? Werden wir zur gewohnten Normalität zurückkehren? Wie werden wir mit einer zweiten Welle umgehen? Wie werden wir wieder ein gutes Gefühl für unser Miteinander bekommen, welches Nähe zulässt? Wie wollen wir uns künftig im Alltag begegnen, z.B. im Supermarkt, im Restaurant, am Arbeitsplatz, im Urlaub? Wie werden wir mit den sich abzeichnenden Job-Verlusten und Insolvenzen als Kultur und Mitmenschen umgehen?

Diese und viele weitere Fragen zur weiteren Entwicklung der Corona-Krise bleiben aktuell offen und dies vermutlich auch noch eine lange Zeit. Und wir können hier auch wieder nur auf wenige, ausgewählte Fragen eingehen.

Werden wir zur gewohnten Normalität zurückkehren?

Seit Beginn der Corona-Krise treibt viele Mitmenschen die Frage um, wann die Krise endlich zu Ende sein wird und wir alle zur Normalität zurückkehren können. Die subjektiven Einschätzungen reichen in den Extremen von „alles wird wie bisher“ bis „nichts bleibt wie es ist“. Doch was heißt Normalität? Normalität bezeichnet das Selbstverständliche, das Alltägliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss.

Werden wir also zu unserem alten Selbstverständnis und Alltag zurückkehren, den wir z.B. noch Ende 2019 gewohnt waren? Nein!

Oder wird nichts bleiben wie es ist? Ebenfalls: Nein!

Wie kann das sein? Nun, beide Positionen haben recht, aber nur teilweise. Wir können darauf vertrauen, dass auch in Zukunft bestimmte Selbstverständlichkeiten gelten werden, die wir vor der Krise kannten. Und es wird zugleich Aspekte geben, die signifikant anders sein werden als vor der Krise. Dafür muss man kein Zukunftsforscher oder Glaskugel-Experte sein, sondern nur etwas Logik bemühen. Unser Gehirn offeriert uns bei solchen Fragen aus reiner Denkgewohnheit bevorzugt Entweder-oder-Szenarien. Diese kosten das Gehirn wenig Energie, führen dann allerdings schnell zu Extrem-Positionen. Speziell in unserer abendländisch-westlich geprägten Kultur sind wir es nicht gewohnt, andere Denkmuster anzuwenden, die dann z.B. auch Sowohl-als-auch-Szenarien oder Weder-noch-Szenarien in Betracht ziehen – wir sehen diese Möglichkeiten schlichtweg nicht.

Es wird also beides passieren.

Das kulturelle Miteinander, die gesellschaftlichen Institutionen, die Wirtschaft, die Umwelt und die Naturgesetze werden weiterhin verlässlich und im oben beschriebenen Sinn „normal“ funktionieren. Wir werden uns verlieben, manche werden Kinder bekommen und in ihrer Entwicklung begleiten. Wir werden essen, schlafen, Freunde treffen, arbeiten gehen, nützliche und schöne Dinge machen. Wir werden uns freuen und leiden. Wir werden uns ästhetisch ausdrücken, tanzen, singen, lachen, weinen – unser Leben „normal“ weiterleben.

Zugleich hat die Corona-Pandemie deutliche Kratzer in das Antlitz unser Welt geschrammt. Die Corona-Pandemie wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Geschichtsbücher bringen, wenngleich vielleicht (erfreulicherweise) nicht so prominent wie die Spanische Grippe oder die Pest. Immerhin wird heute schon diskutiert, ob die ökonomischen Folgen der Corona-Krise schlimmer sein werden als jene der Weltwirtschaftskrise, die am 24. Oktober 1929 mit einem Crash der New Yorker Börse („Schwarzer Donnerstag“) begann und mit ihren leidvollen Folgen bis weit in die 1930er hineinwirkte. Dabei müssen die Folgen der Corona-Krise nicht zwingend einen ähnlich leidvollen Verlauf nehmen, wie die Weltwirtschaftskrise! Die Welt hat sich weiterentwickelt und an vielen Stellen aus ihrer Geschichte gelernt. Heute ist internationale Solidarität und Fürsorge, die Achtung der Menschenrechte und pluralistisches Mitgefühl deutlich mehr verbreitet als damals, wo ethnozentrisches und nationalstaatliches Denken und Handeln das Geschehen dominierte.

Aus integraler Sicht wäre es also weder hilfreich darauf hinzuwirken, die „alte“, gewohnte Normalität als überholt, antiquiert oder gar Schnee von gestern auszumustern und auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen – noch die anstehenden und vielfach noch unvorhersehbaren Veränderungen der Zukunft pauschal und mit Vehemenz kategorisch abzulehnen oder gar zu ignorieren.

Wie bewältigen wir die Folgen der Corona-Krise?

Die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und individuellen Folgen der Krise sind zu zahlreich und weit verzweigt, als hier befriedigende Antworten geben zu können. Daher hier nur ein paar wenige ausgewählte Aspekte.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Arbeitslosen-Zahlen steigen und es wird viele Insolvenzen in Deutschland und weltweit geben. Einige Branchen werden es schwer haben, kurzfristig wieder auf die Beine zu kommen. Im Sinne der Idee „auf das Beste zu hoffen und sich auf das Schlimmste vorzubereiten“, kann es sinnvoll sein, sich mental-emotional und auch ganz praktisch auf unangenehme Zeiten einzurichten. Einen „vernünftigen“ Vorrat an Lebensmitteln und Haushaltsartikeln anzulegen. Die eigenen bislang gewohnten Konsummuster kritisch zu hinterfragen und zu ändern (z.B. Kreuzfahrten oder Flugreisen). Die in dieser Zeit gut entwickelten Kontakte zu Nachbarn, Bekannten und verlässlich-helfenden Mitmenschen weiter zu pflegen („man sieht sich immer zweimal“). Sofern möglich: eine finanzielle Reserve anzulegen für schlechte Zeiten. Neue Formen des Mit-sich-selbst-Seins und der bedingungslosen Zufriedenheit zu erproben. Auf alle Fälle, sich mit seinen Mitmenschen sozial enger zu vernetzen und diese Beziehungen (nicht Kontakte) zu pflegen.

Andere Branchen und Unternehmen werden die Gunst der Stunde nutzen, alten Ballast (z.B. Organisations- und Produktionsmethoden aus den Zeiten der Industrialisierung) abzuwerfen und einen innovativen Neuanfang zu wagen – mit bestenfalls mehr Agilität, Möglichkeiten zur individuellen Selbstentfaltung, selbstorganisierte Co-Working-Spaces und mehr öko-sozialem Engagement. Jedenfalls haben die letzten Wochen der Corona-Krise gezeigt, was wir gemeinsam mit unseren Mitmenschen zustande bringen können, wenn es darauf ankommt. Brauereien, die ihre Produktion auf Desinfektionsmittel umstellen, Dessous-Hersteller die Masken produzieren, Bäckereien, in denen Ärzte, Pflege- und Rettungskräfte gratis mit Brot und Brötchen versorgt werden. Virtuelle Treffen und gemeinsame Abende mit Freunden via Videochat. Firmen, die überlegen, das Homeoffice ihrer Führungskräfte zur Regel und den Büroaufenthalt zur Ausnahme zu machen. In denen der Sinn und Nutzen von Geschäftsreisen neu infrage gestellt wird. Auch hier nur einige, wenige von vielen Überlegungen und Entwicklungen.

Als Folge der Corona-Krise werden wir uns und unsere Volksvertreter auch häufiger als gewohnt fragen, ob es sinnvoll ist, bestimmte Unternehmen, Branchen und Wirtschaftsbereiche zu subventionieren oder zu „retten“, ohne dies an Bedingungen, wie z.B. den Klimaschutz zu koppeln. Manche (nicht alle) Unternehmen haben die letzten Jahre der Prosperität eher dafür genutzt, für normale Menschen unvorstellbare Boni für ihre Vorstände und satte Dividenden für ihre Aktionäre auszuschütten, statt in den Erhalt der eigenen Wirtschaftskraft, die eigene Modernisierung und Innovationsfähigkeit zu investieren.

Und es kann auch gut sein, dass sich unser Verständnis von „Gesundheit“ verändern wird. Dass es künftig weniger nur eine Frage der individuellen Vorsorge sein wird, sondern vielmehr eine Aufgabe von uns allen gesellschaftliche, kulturelle und individuelle Bedingungen herzustellen, welche ingesamt die Wahrscheinlichkeit erhöhen, gesund zu bleiben und falls erkrankt schnell wieder gesund zu werden. Damit ist nicht gemeint, Rauchern das Rauchen zu verbieten oder zu erschweren oder übergewichtige Menschen auf Diät zu setzen und so zu ihrer Gesundheit zu zwingen. Sondern intelligente Lösungen zu entwickeln, in denen alle vier Quadranten – Individuelle Erfahrungen, individuelle Handlungen, systemische und kulturelle Rahmenbedingungen – zusammenwirken, um das Krankwerden zu erschweren. Zum Beispiel für das Thema „Übergewicht“: Verbesserung der sozialen Situation vieler Familien (u.a. Bekämpfung der Armut, Schulspeisungen etc.), Förderung bezahlbarer gesunder Lebensmittel, Einführen von Besteuerungen (z.B. Zuckersteuer) für nachweisbare ungesunde Lebensmittel (Convenience Food) sowie von Unternehmen, die satte Gewinne damit machen (z.B. Fast-Food-Ketten), Förderung regionaler und lokaler Produkte und Produktionen, Aufklärung darüber, was wirklich gute Lebensmittel ausmacht (und damit sind nicht alleine Nährstoff-Tabellen gemeint), Verbot bzw. Einschränkung von Werbung für Convenience Food, Kultivierung des Kochens, z.B. im Freundeskreis, psychotherapeutische Arbeit an den individuellen Ursachen für übermäßigen Konsum ungesunder Nahrung (z.B. Strukturaufstellungen) etc. – wir wollen sagen, Gesundheit ist bei weitem nicht allein ein individuelles Problem wofür der Einzelne allein verantwortlich ist – und im Zweifel alleine gegen eine unsichtbare Übermacht ankämpft – sondern mindestens genauso ein gesellschaftliches Thema. Und es sollte uns daran gelegen sein – nicht aus missverstandener Übergriffigkeit heraus, sondern aus Verantwortung für das Wohl unserer Mitmenschen – kontinuierlich Rahmenbedingungen zu schaffen und zu entwickeln, die unsere körperliche, geistige und seelische Gesundheit fördern.

Müssen wir auch in Zukunft mit dem Corona-Virus rechnen?

Mit hoher Wahrscheinlichkeit: ja.

Abgesehen davon, dass dieser Virus-Typus schon sehr lange mit dem Menschen ko-existiert und sich nicht einfach ohne Weiteres aus der Evolution verabschieden wird, werden wir wohl lernen müssen, mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 oder nachfolgenden, durch Mutation entstandenen Generationen, klarzukommen.

Zwar erfreuen wir uns gerade sommerlicher Temperaturen, die eine Ausbreitung des Coronavirus erschweren. Dennoch rechnen viele Virologen mit einer Zunahme von Corona-Erkrankungen zum Herbst, wenn sich die Temperaturen wieder absenken. Es bleibt abzuwarten, ob diese saisonale Zunahme das Ausmaß einer Welle annehmen wird, die uns alle erneut zu überrollen droht – oder es sich eher um viele lokal begrenzte Hotspot-Ausbrüche handeln wird, die „nur“ eine begrenzte und lokalisierbare Population betreffen, von denen viele ihre Infektion vielleicht nicht einmal bemerken.

Wenn wir alle nicht übermütig werden und die erreichten Fortschritte in Sachen Corona-Krise leichtfertig aufs Spiel setzen, ist aktuell eher nicht mit einem zweiten Lockdown dieser Art und Mächtigkeit zu rechnen. Schlicht, weil wir uns dies aus vielerlei Gründen und Motiven nicht leisten wollen. Die Ausbreitung des nun unter Beobachtung stehenden Corona-Virus SARS-CoV-2 müsste sich schon unerkannt dramatisch und in kürzester Zeit erneut zuspitzen, bevor erneut derart flächendeckende und weitreichende Maßnahmen verordnet und den Bürgerinnen und Bürgern zugemutet werden müssten. Und dies ist aktuell wenig wahrscheinlich.

Unklar ist, wann ein wirksamer Impfstoff gegen dieses Virus erfolgreich entwickelt und getestet sein wird – und dann in ausreichender Menge zur Verfügung steht (nicht nur in Deutschland, sondern weltweit). Die Entwicklung geeigneter Impfstoff-Kandidaten ist komplex und aufwändig und die Zulassungsprozesse sind aus guten Gründen sehr rigide, um potenzielle impfbedingte Gesundheitsschäden möglichst auszuschließen.

Ein weiterer Grund, weshalb dieses Virus uns vermutlich dauerhaft begleiten wird, ist unsere Lebensweise sowie die Tatsache, dass Corona-Viren besonders gerne mutieren. Wir sind weltweit unvorstellbar viel unterwegs, von einem Kontinent zum anderen, was die Ausbreitung solcher Viren begünstigt – die reisen einfach und ungefragt als blinde Passagiere mit. Wir haben viele natürliche Ökosysteme so weitgehend zerstört oder flächenmäßig so drastisch reduziert, dass die darin verbleibenden Tier- und Pflanzenarten einem kaum vorstellbaren Überlebensstress ausgesetzt sind – der die Verbreitung solcher Viren ebenfalls begünstigt. Von Menschenhand durch Urbanisierung verdrängte Tiere versuchen dann notgedrungen immer häufiger ihr Glück im urbanen Umfeld, was könnte aus ihrer Perspektive denn noch schlimmer sein. Auch der Klimawandel spielt eine wichtige, nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verbreitung von Viren und anderen Tier- und Pflanzenarten, die uns noch in Zukunft beschäftigen werden. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis wir mit so genannten „Tropenkrankheiten“ auch in unseren mittleren Breiten ernsthafte Probleme bekommen werden.

Insofern kann es durchaus Sinn machen, sich gesellschaftlich und infrastrukturell so zu organisieren, dass wir auf solche zukünftigen „Überraschungen“ besser vorbereitet sind als in dieser Krise. Denn – die aktuelle Corona-Pandemie war leider keine Überraschung, nicht prinzipiell unvorhersehbar, kein „schwarzer Schwan“ wie viele annehmen. Nassim Taleb prägte den Begriff „Schwarzer Schwan“ und bezeichnet damit praktisch unvorhersehbare Ereignisse in einer vernetzten Welt, die sich einer Planbarkeit weitgehend entziehen und für die auch keine Erfahrungen bestehen. Alle drei Aspekte treffen genau nicht auf die Corona-Pandemie zu: Es ist nicht die erste Pandemie, und auch nicht die erste Corona-Virusepidemie, die die Menschheit je erlebt hat – und sicherlich auch nicht die letzte. Führende Denker, Epidemiologen und Forscher verschiedenster Disziplinen und unter anderem auch Bill und Melinda Gates weisen seit Jahrzehnten auf die Wahrscheinlichkeit und die Gefahren einer weltweiten Pandemie und ihrer Auswirkungen hin und setzen sich seitdem für vorbeugende Maßnahmen, Pandemiepläne etc. ein und leisten damit ihren unbesungenen, unbeklatschten Heldenbeitrag zur Verbesserung der weltweiten Gesundheit insgesamt. Wir hätten besser oder überhaupt zuhören können. Wir hätten dies ernst nehmen und vorbereitet sein können – sicherlich nicht jeder Einzelne, aber wir als Gesellschaft insgesamt schon. Also: keine Entschuldigung.

Was können wir daraus bisher lernen?

Die letzten Wochen waren vermutlich auch für dich sehr aufregend, verwirrend und anstrengend. Vielleicht in der Kombination der Ereignisse für dich einmalig. Und gewiss braucht keiner von uns dieses Maß an Zumutungen ein zweites Mal. Also: Was lernen wir daraus für unsere Zukunft? Welche Schlüsse ziehen wir aus unseren individuellen und kollektiven Erfahrungen – damit uns eine derartige „Überraschung“ nicht erneut unvorbereitet und mit voller Wucht trifft?

Es gibt einen weiteren „weißen Schwan“ – quasi das Gegenstück zu einem schwarzen Schwan – den wir alle bereits kennen, dessen Existenz uns nicht überraschen kann, mit dem wir vielleicht bereits schon individuelle Erfahrungen gemacht haben und dessen Kommen sicher und somit planbar ist. Wir können uns also gemeinsam darauf vorbereiten und unsere in der Corona-Krise frisch erworbenen individuellen Kenntnisse und kulturellen Möglichkeiten darauf anwenden. Und das werden wir wohl auch müssen.

Der Klimawandel.

Was? Ist das nicht etwas zu groß für uns? Sicherlich nicht! Denn der Klimawandel wird passieren, er findet bereits direkt vor unseren Augen statt – und wir können nicht so tun als wäre alles „normal“ in dieser Hinsicht. Die Frage ist, ob wir bereit sind, ihn in irgendeiner intelligenten Weise mitzugestalten – schließlich haben wir ihn ja auch maßgeblich herbeigeführt – oder eben nicht.

Aber dies ist eine ganz neue Geschichte, der wir uns in Zukunft besonders widmen werden (müssen).

In diesem Artikel haben wir vor allem durch die Integrale Brille geschaut, und weniger die Integrale Brille beschrieben. Vielleicht hast du an der einen oder anderen Stelle einen Unterschied bemerkt zu deiner sonst üblichen Welt-Wahrnehmung. Mit dem Integralen Modell kannst du beliebig chaotische und komplexe Probleme strukturieren und erhältst dadurch neue, Sinn stiftende Orientierungen für dein Verständnis unübersichtlicher Situationen sowie für dein eigenes Handeln. Du siehst besser und klarer, was um dich herum geschieht, und bist besser in der Lage die nüchterne „Wahrheit“ von Quatsch zu unterscheiden. Und diese Fähigkeit wird zunehmend wichtiger für dich persönlich – wie auch für uns alle als Gesellschaft.

Insofern laden wir dich herzlich dazu ein, mit diesen geschärften Sinnen und dem Herzen am rechten Fleck dabei mitzumachen, die noch vor uns liegenden Herausforderungen gemeinsam zu gestalten.

  • Wir sind sehr an deiner Meinung zu diesem Artikel interessiert und freuen uns auf dein Feedback dazu.
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Wir wünschen dir und deinen liebsten Mitmenschen für die künftig anstehenden Herausforderungen viele gute Erfahrungen, tolle Begegnungen mit deinen Mitmenschen, ausreichend Besonnenheit – und vor allem: Bleib gesund – und bleib aktiv!

Herzlichst, Isa & Julian

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